Presence

24. September bis 9. Oktober 2022

Gruppe “Fast Reaction” (Ukraine) – Vita und Boris Mikhailov, Sergey Bratkov, Sergey Solonsky
Jens Rötzsch / Maria Sewcz / Lydia Thomas / Albrecht Dürer
Fotografie, Malerei und Grafik 1983 bis 2022, zusammengestellt von Florian Merkel

Eröffnung am 24. September 2022 um 15 Uhr
Finissage und Abschluss des diesjährigen Programmes am 9. Oktober 2022 ab 15 Uhr
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.
Freundlich unterstützt von: Stadtstiftung Baruth/Mark, EWE Stiftung, Mittelbrandenburgische Sparkasse

aus „If I were a German“ Kharkiv Ukraine 1994 – Gruppe „Fast Reaction“
Lydia Thomas, Maria Sewcz, Albrecht Dürer, Jens Rötzsch, Gruppe „Fast Reaction“
Maria Sewcz aus „schnitt blume – topf pflanze“ Berlin 2002–2004 Fine Art Prints
Maria Sewcz 2002-2004
Lydia Thomas „App“ 2017 Öl auf Leinewand / Maria Sewcz o. T. 1986 C-Print Baryt
Jens Rötzsch aus „Nemo“ 1983/2022 Tintendrucke nach colorierten SW-Dias / Lydia Thomas „Tondo“ 2022 Öl auf Leinewand
Albrecht Dürer optimiert von Florian Merkel 2014-2018 Pigmentdruck Wasserfarbe Fineliner

„PRESENCE“ – Eröffnungsrede

„Presence“ heißt ein Album von Led Zeppelin, das die Combo Mitte der 70er Jahre veröffentlichte und das den Schreiber dieser Zeilen seinerzeit stark beeindruckt hat. Meine älteren Weggefährten meinten: Naja, manchmal klingt es ja wie früher. Ich mochte die grobe Unmittelbarkeit, die sich in meine Gehörgänge fräste, das Werk auf seltsame Weise zeitlos macht.

Fazit nach dem Besuch der „documenta 15“: Wenn man akzeptiert, dass Autorenschaft unwichtig ist und es auf die Recyclebarkeit der gezeigten Beiträge ankommt, öffnet sich der Raum für Gedanken über Sinn und Unsinn dessen, was Kunst sein soll, bedeuten kann. Am Ende bleibt jedoch wenig in Erinnerung außer dem Postulat der ideologisierten, inzwischen diversifizierten Gemeinschaft und der Inanspruchnahme des moralisch Guten, was alten linken Denkweisen entspricht. Es ist anders als nach einem Konzert oder einer Theateraufführung, die zwar im Moment wirken, aber noch lange im Gedächtnis auf ambivalente Weise weiterarbeiten.
Ist nun der Wunsch nach Werken von Beständigkeit altmodisch und vermessen – immerhin hängt ein jahrhundertealtes Kulturverständnis von dieser Annahme ab.

Den Arbeiten, die in „PRESENCE“ zu sehen sind, ist gemein, dass sie eine Eindringlichkeit besitzen, durch die sie mir gegenwärtig, also von Bedeutung sind, auch wenn ich manche davon seit vielen Jahren nicht gesehen hatte. Sie stehen für sich, unabhängig von ihrem ursprünglichen Kontext und ihr Weiterleben in Form von Altpapier, wie bei indonesischen Propagandabildern empfohlen, wäre ein Verlust. Wieweit dieser Gehalt an metaphysischer Energie zu einer nachvollziehbaren Verbindung untereinander führen kann wird in dieser Ausstellung untersucht. Die Auswahl der Bilder ist vergleichbar mit der Arbeit an einer Collage oder dem Spinnen einer Geschichte, mit immer neuen Verknüpfungen und neuem Verwerfen.

“Fast Reaction” (Ukraine) – Vita und Boris Mikhailov, Sergey Bratkov, Sergey Solonsky
aus “If I were a German”, Kharkiv, Ukraine, 1994

Ausgangspunkt war eine Fotoinszenierung der Gruppe „Fast Reaction“ um den ukrainischen Fotografen Boris Mikhailov. Die Gruppe trieb in den 90ern in der Serie „If I were a German“ ein wildes Spiel mit Travestie um russisch/ukrainisch/deutsch/jüdische Identitäten, Herleitungen und Selbstverständnisse, abgeleitet aus den eigenen Biographien, ein Thema das in unterschiedlichen Debatten gerade wieder aktuell ist. Die Pieta oder Grablegung aus dieser Reihe kommt in deren Gesamtzusammenhang noch vergleichsweise milde daher, wenn die Protagonisten mit eingeklemmter Männlichkeit in üppig fruchtbarer Landschaft trauern.
Als Zugabe hängt im grünen Salon ein Foto aus dem Projekt „ALEX 2000“, einer Zusammenarbeit mit Boris Mikhailov aus dem Jahr 1999, später verarbeitet unter dem Titel „Woher weht der Wind – von West, von Ost, von oben“. Die Aufnahme hat Vita gemacht.

B. & V. Mikhailov, F. Merkel aus „ALEX 2000“ 1999

Die erwähnte Gegenwärtigkeit funktioniert als serieller Gesamteindruck bei den Blumenfotografien aus der Reihe „schnitt-blume topf-planze“ von Maria Sewcz, die 2004 im Haus am Waldsee ausgestellt waren und beim Einzelbild des farbigen Rückenaktes, den Maria während des Studiums aufnahm und der im zeitlichen Kontext ihres Klassikers „inter esse“ steht. Die recht gut erhaltene Farbigkeit des sanften tschechischen Fotopapiers aus den 80ern, heute eine Rarität, steht dabei im Gegensatz zu den heftigen Tönen des vor 20 Jahren noch neuen Tintendruckverfahrens der Pflanzenfotos.

Maria Sewcz ohne Titel 1986

An der Leipziger Hochschule hat auch Jens Rötzsch studiert, später ein Mitbegründer der „Ostkreuz“ Agentur. „Nemo“ war das Motto des Schulfaschings 1983, das zweite Studienjahr machte den Keller des Hauses zum U-Boot. Die Fotografen Jens Rötzsch, Reinhard Münch und Florian Merkel stellten die glückliche Besatzung dar, mehrere Malerinnen unterstützten mit Textilien und stilistischer Beratung. Meistens drückte Jens auf den Auslöser. Aus den Aufnahmen fertigte er Diapositive, die er farbig übermalte und in den Ozean des Lichthofes projizierte. Jens Rötzsch ist auch in seinen späteren Reportagen, hier in Ausschnitten angedeutet, als Autor unverkennbar. Ein Bild ist aus dem Buch „Messer“ über den Sänger Till Lindemann, 2002 fotografiert in einer stillgelegten Fabrik für Schaufensterpuppen, das andere hat Jens Rötzsch 2005 in einem Trainingslager für mongolische Hochleistungsringer aufgenommen.

links Maria Sewcz – rechts Jens Rötzsch Od-Star Ringercamp Mongolei 2005

Lydia Thomas war schon in der Einstandsausstellung unseres Kunstvereins im Frühjahr zugange und ist jetzt mit Malereien vertreten, in denen sie vertraute Versatzstücke abendländischer Ikonographie ihrer Neuinterpretation unterzieht. Der „App“ genannte hilflose Schnitzengel aus einem barocken Chorgestühl wächst bei ihr zum überdimensionierten Schmerzensschrei, der den Bogen schlägt zu den Versatzstücken christlicher Bildsprache bei den Ukrainern, begleitet vom gleichmütigen Chronos, der frei über allen Kulturen schwebt. Der Engel ist die religiös konnotierte Entsprechung zu den Apparaten und Armaturen, im hinteren Raum zu sehen, die sonst auf Lydias Gemälden ein geheimnisvolles Eigenleben führen.

Lydia Thomas „Der Tierversuch“ 2017

Albrecht Dürer ist deutscher Standard. Indes kennt kaum jemand die Originale seiner Zeichnungen und es ist zu beobachten, dass die ihn vermittelnde Reproduktions- und Drucktechnik in verschiedenen Zeiten mit unterschiedlichen ästhetisch-ideologischen Absichten gehandhabt wurde. Besonders in Büchern aus den 30er Jahren haben seine Gestalten einen merkwürdig strengen und belehrenden Ausdruck, was ein Eingreifen der anonymen Retuscheure nahelegt. Um das zu überprüfen, wurden einige Drucke seiner Zeichnungen aus einem Bildband von 1981 in Bezug auf lineare Klarheit und ernsthaften Ausdruck von Florian Merkel digital und händisch überarbeitet.
Findet das Besondere!

Florian Merkel, September 2022

Dürer optimiert

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