Lavinia Chianello

„Storyboard: 2 Seconds“

betreut von Florian Merkel

19. August bis 10. September 2023

Alle Arbeiten in der Installation entstanden 2022/2023 für diese Ausstellung.
Das Video „Primogenito Complesso“ wurde vom Studio Elementare – Tomás Creus und Lavinia Chianello – 2007 produziert.

Florian Merkel – aus der Eröffnungsrede:
 
Zum ersten Mal sah ich Arbeiten von Lavinia Chianello vor vier Jahren in einer Ausstellung junger Chemnitzer Kunst in der Neuen Sächsischen Galerie in Chemnitz. Es war die gleiche Schau, in der mich auch die Armaturen von Lydia Thomas so unverschämt angegrinst hatten, was für das Feuerwehrhaus schon von großer Bedeutung war.
In einer Videoecke wurden Animationen projiziert, die mich vom real existierenden Chemnitzer Umfeld in eine merkwürdig düster-nostalgische Welt führten. Stumme Figuren aus einer Paralleldimension von Pinocchio rätselten über den Sinn des Lebens in einer Umgebung, die mir von der Anmutung her aus erzgebirgisch weihnachtlichen Zusammenhängen heraus vertraut war. Nach einer Story suchte ich nicht, das Erleben dieser Welt nahm mich genügend in Anspruch. Das war verbunden mit einem für Chemnitz ungewöhnlich exotischen Namen.
Ein Universum der besonderen Art stellt Lavinias Präsenz auf Instagram dar. Durchaus tagebuchartig gehalten wechseln poetische Impressionen ihrer Kinder mit verwischten Alltagsbeobachtungen, Bekenntnissen zu zuckrigen Delikatessen und morbiden Einfällen wie einem blutigen Zombie-Hirn aus grünlichem Marzipan und Marmelade zu Halloween.
Auf die Art neugierig geworden, kam ich schließlich im letzten Jahr zum Atelierbesuch auf den Sonnenberg. Ich war mir danach sicher, dass Lavinia mit dem Raum des Feuerwehrhauses würde umgehen können.
 
Das Prinzip des in Kemlitz präsentierten Projektes wird am besten mit Lavinias eigenen Worten beschrieben:
// Eine Sekunde Film besteht aus 24 Standbildern. In dieser Ausstellung wird das Leben zweier Menschen durch Fragmente dargestellt – 24 Standbilder eines imaginären Storyboards. Eine systematische Trennung zwischen den beiden ist, obwohl angestrebt, unmöglich.
Die Zartheit der verwendeten Materialien wie Porzellan, leichte Textilien und Papier verweisen auf die Zerbrechlichkeit der beiden Personen.
Auch ihr Geschlecht wird ständig neu gemischt und ist unklar.
Die großen Papierkugeln erinnern an die koreanischen Porzellan Vasen, die Moon Jars, das Ergebnis der Vereinigung zweier Hälften, die getrennt hergestellt und dann gewaltsam zusammengefügt wurden. Zusammen bilden sie keine perfekte Kugel. Das Ergebnis ist in seiner Unvollkommenheit wunderschön, die Mängel werden nicht versteckt, sondern hervorgehoben. Ihr Leben, von Anfang bis Ende, wird durch die Darstellung kurzer Momente evoziert, wobei Materialien wie Porzellan, Textilien, kleine Objekte, Papier und Fotografien verwendet werden. Einige „Stills“ werden von kleinen Texten begleitet, die eher die Stimmungen wiedergeben, als dass sie eine bestimmte Situation im Detail beschreiben und es dem Betrachter ermöglichen, die Erfahrung zu rekonstruieren. //
 
Zu ergänzen ist, dass hinter der lieblichen Anmutung der Installation sich Areale auftun, die Ahnungen düsterer Tiefgründigkeiten gelebter Konflikte und Passionen geben. Es geht um Geburt und Werden, um Rollen und Zuweisungen, um Entwicklungen in Lebensentwürfen, um Leben und Tod. Abgehandelt wird das an den Lebenslinien eines Jungen – des Älteren – und eines Mädchens.
Im Zentrum des Raumes umgeben Männer und Frauen in schwankender aber gebundener Distanz ein Festmahl, das Tim Burton gefallen könnte.
Am Ende bleibt uns doch der verheißungsvolle Ausblick in die Zukunft, denn die Kinder werden ihre eigenen Erfahrungen machen.
 
Die Ausstellung folgt einem festen Konzept, das in den wichtigsten Zügen schon zu Anfang der Gespräche über die Ausstellung feststand und diese an der Drehbucharbeit geschulte Stringenz ist in der Installation spürbar, darin, wie Lavinia mit dem Raum umgeht. Spielraum für Improvisationen war beim Aufbau zwar vorhanden aber nicht zwingend notwendig.
Im Grünen Salon läuft das Video „Primogenito Complesso – Erstgeborenen Komplex“ aus dem Hause Studio Elementare von 2007, in dem die zweifelnde und hadernde Hauptfigur vom Tod erlöst wird, aber der Kreislauf geht weiter, ist absehbar.
Mit dem Film schließt sich der Kreis zur Chemnitzer Ausstellung von 2019, mit der diese Geschichte begann.

Das Gedicht zur Eröffnung von Silke Weizel, Chemnitz:

2 Sekunden

Was sind 2 Sekunden?
Ein hauchdünner Schimmer der Zeit.
Ein Aufblitzen von Momenten zweier Menschenleben.

24 Bilder.

2 Sekunden – 24 Bilder – 2 Menschen

Zarte Klarheit und dennoch wunderbar verschieden,
Menschen, immer wieder anders und doch stets sie selbst.

Gefangen
Verloren
Geliebt

Er steht vor ihr
Nackt
Gehüllt in seine grenzenlose Zerbrechlichkeit

Sie gibt ihm
Was er braucht

Ein nicht enden wollender Schimmer der Zeit

24 Bilder
2 Sekunden

Ich freue mich sehr, diese Vernissage heute hier begleiten zu dürfen.

Still aus „Primogenito Complesso“ 2007

Lavinia Chianello

Die Künstlerin wurde in Palermo, Italien geboren.
Sie studierte Bildende Kunst an der Accademia di Belle Arti di Palermo und arbeitete als Restauratorin in Italien und London.
Nach Stationen in Brasilien und Argentinien lebt sie seit 14 Jahren in Chemnitz.
Seit 2002 produziert sie zusammen mit Tomás Creus Stop-Motion Animationsfilme im Projekt Studio Elementare.

Instagram:
chianellolavinia, studioelementareanimazioni, kinocamerachemnitz

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