Kata Unger + Frank Diersch

„UNIVERSE“

28. August bis 10. September
Eröffnung am Sonntag dem 28. August 2022 um 15 Uhr mit einführenden Worten von Mark Kuhrke (Berlin)
Am Samstag dem 10. September 2022 um 15 Uhr:
Drawing Radio Live vs. German Tatami Ultraorbit – Texte von Hugo de Saint Paul + Artistdorftalk
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.

links Frank Diersch rechts Kata Unger
Start mit Frank Diersch
Frank Diersch links in der Ecke
Kata Unger rechts in der Ecke
Kata Unger „Die Prognistiker“ 2016 Seide und Wolle auf Seide 110x290cm
aus „Die Prognostiker“
Frank Diersch „Gamma Radio Burst W22“ 2022 Vinylmarker auf Karton
Eröffnung mit Mark Kuhrke
Drawing Radio Live vs. German Tatami Ultraorbit – Flakenberg liest Texte von Hugo de Saint Paul

>>> Mitschnitt Drawing Radio auf www.mixcloud.com

Kata Unger

1961 in Berlin geboren, lebt und arbeitet in Berlin
2007 Gründung des Projektes German Tatami (zusammen mit Frank Diersch)

kata-unger.com

Frank Diersch

1965 in Berlin geboren, lebt und arbeitet in Woltersdorf
2007 Gründung des Projektes German Tatami (zusammen mit Kata Unger)

frank-diersch.de

Mark Kuhrke
D + U = UNIVERSE
Zur Eröffnung der Ausstellung UNIVERSE im Kunstverein Feuerwehrhaus Kemlitz e.V.

Seit wir Menschen in den Himmel schauen, fesselt uns die Frage: „Was da draußen im All wohl sein mag?“ Dunkelheit? Stille? Endlose Weiten des Nichts? Nein, ganz im Gegenteil, das Universum trägt ein unvorstellbares Potenzial in sich. Die Werke von Frank Diersch und Kata Unger können als künstlerische Annäherung an diesen Möglichkeitsraum und die dortigen Prinzipien der kosmischen Ordnung gelesen werden. Die hier präsentierten Werke sind Ergebnisse eines ‚künstlerischen Philosophierens‘ über Fragen nach der eigenentworfenen Selbstverortung im Universum. Die Arbeiten verbindet dabei der Bezug auf kosmologische Themen; es lassen sich Elemente von Landkarten, Gedankenwolken, interstellarem Rauschen und kosmischem Licht sowie Zukunftsvisionen in den Werken entdecken. Diese ‚Atemzüge des Universums‘ übermitteln uns Nachrichten von nahen wie von fernen Sternen.
„Die Wahrheit ist da draußen.“, lautet der Leitspruch der US-amerikanischen Fernsehproduktion Akte X (1993-2002/2016-18) und bezeichnet damit treffend die Suche nach einer Wahrheit über uns und über unser Verständnis des Universums. Kata Unger und Frank Diersch unterbreiten mit dieser Ausstellung ihren Wahrheitsbegriff, der abstrakt und mathematisch sowie futuristisch und dystopisch zugleich wirken mag.

In mannigfaltiger Variation entwickeln sich die präsentierten Bilder-Welten aus linearen Strukturen heraus. Frank Dierschs Werke bestechen durch ihren hohen grafischen Gehalt: Diersch verwendet Feder, Tinte, Pigmentmarker oder Tusche zunächst entsprechend seines zeichnerisch-grafischen Ansatzes und „schickt die Linie auf eine Reise“ (nach Paul Klee). Im jüngsten Werk des Künstlers, dem Blatt Cosmic residence (2022), wird der geometrische Bildraum aus Linien konstruiert; sein Duktus kann jedoch auch Knäuel, Schraffuren, Schichtungen und Überlagerungen hervorbringen. Die Strichführung im Werk FM (2022) kreiert einen anamorphen Linienhaufen, dessen Schichtungen und Auslassungen erst das eigentliche Bildmotiv bilden. Diersch vergleicht diesen malerischen Prozess mit dem des Schreibens und ergänzt: „Der Text [der malerisch niedergeschrieben wird] entwickelt sich jedoch erst [im Prozess des] Schreiben[s].“

Für Cosmic residence bedeutet dies die Konstruktion eines dreidimensionalen Gerüstes aus rosafarbenen Linien auf dunkelgrauem Grund, mündend in einem silbernen Quadrat. Eine orangene Linie umgibt das Blatt als Rahmen und transformiert damit die Linien im Inneren zu einer Theaterkulisse, die gleich einem Satelliten durch das All zu schweben scheint. Schwarze Marker-Kritzeleien kündigen dabei eine Präsenz an; ob diese jedoch als Botschaft im Schriftsystem außerirdischer Runen oder als Visualisierung eines audiovisuellen Reizes zu verstehen sei, bleibt offen. Das benachbarte Werk (Waldweg, 2021) setzt sich aus linearen Strichen und Kreisblasen zusammen und gleicht damit einer Science-Fiction-Grafik eines schnell beschleunigenden Raumfahrzeuges, das Streifen und Kegel von Licht hinter sich herzerrt. Doch dieses ‚Lichtabgas‘ formiert sich zum titelgebenden Waldweg. Das Komponieren eines Motives aus Blasen und Bläschen übernimmt Diersch auch für seine Arbeit Raumschiff (2019/22). Hier strömen Bläschen gleich einem sich auftürmenden Schaumbad in die Höhe; wie Kondensstreifen oder Siedeperlen kochenden Wassers drücken sich die Bläschen aneinander vorbei. Die Arbeiten Weltkarte/Map (2021) und Pictosphere (2021) scheinen auf den ersten Blick formal sehr ähnlich. Beide Werke präsentieren uns eine kartografische Oberansicht eines Lageplanes. Während die Weltkarte jedoch den Versuch unternimmt, eine fremde Welt mit ihren Hügeln und Tälern, quadratischen Seen und wulstigen Flüssen zu kartografieren, funktioniert die Arbeit Pictosphere als ein mit Kommentaren versehenes „Modell einer Bildumgebung […] außerhalb der gängigen Wahrnehmungsmuster“ (werkinterne Beschriftung). Als ‚astrophilosophische Schaukarte‘ verortet sie Dinge wie „Objekt, Optik, Physik“ und das „Fenster des Möglichen“ nebeneinander, als wären es Nachbargebäude auf einem Grundstück.

Der hintere Raum beschäftigt sich mit dem ‚Metamorphosen des Lichts‘. Die dortigen Werke FM (2022) und Nr. 498 (universe) (2022) zeigen extraterrestrische fremde Zeichen, verarbeiten zeitgleich jedoch auch die teils jahrelange Wanderung von Photonen (Lichtpartikeln) durch das schwarze Nichts. Dieses kosmologische Phänomen beschäftigt den Künstler, denn er versucht „das Licht in seiner feinsten, nobelsten Ausprägung [abzubilden], kurz vor dem Noch-Nichtvorhandensein“ (Zitat Diersch). Diese galaktische Phänomenologie ergänzt er im Werk Fast Radio Burst (FRB) (2022) um eine weitere Sinneswahrnehmung: den Ton. Erst vor zwanzig Jahren wurden Radioblitze als Radiowellen aus dem All entdeckt. 2020 zeichnete man erste Audiosignale auch von außerhalb unserer Galaxie auf. Diersch, der auch als Tonkünstler tätig ist, bearbeitet entsprechend nicht das erste Mal die visuelle Darstellung von Audiosignalen. Fast Radio Burst (BFR) bebildert eine „Echokammer der frühsten Signale im Universum“ (Zitat Diersch). Mit der Arbeit visualisiert der Künstler, durch aufwendig über das Blatt wandernde Linienschichtungen, wie das Universum klingen mag.

Kata Unger kreiert auf ähnliche Art und Weise die Bildwelten ihrer Wandteppiche. Auch der Wollgarnfaden setzt sich in Bewegung und erzeugt im wandernden Prozess mit Fadenreihe für Fadenreihe ein Objekt, das erst im Wachstum, in der Expansion, seine Form findet, zeitgleich bereits sein Motiv enthüllt. Die Motive beider Künstler*innen werden stets nur vom gewählten Format in ihrem Potenzial des weiteren Wachstums begrenzt. Die rechte Wand des Ausstellungsraums wird von Kata Ungers monumentalen Wandteppich Die Prognostiker (2016) bestimmt. Die Weberei ist eine der ältesten handwerklichen Techniken der Menschheit. Für diese Kunstgattung sei jedoch immer mitzudenken, dass der Bildteppich dabei der haptische Bildträger, die künstlerisch-technisch ausgeführte Farbfläche und das abgebildete Bildmotiv zugleich ist. Für die dargestellten fantastischen Bildräume bedeutet dies, dass der Teppich die werkinterne Welt nicht einfach kartografisch fixiert oder gar fotografisch reproduziert, sondern der figurativen Welt ihren Körper gibt. Deutlich wird dies durch die haptische Beschaffenheit des Objekts selbst, auf dessen Rückseite die gleiche Abbildung (jedoch spiegelverkehrt) sichtbar ist. Man könnte den Teppich als eine Art ‚materialisierte Fantasie‘ ansehen. An mancher Stelle kann man kleine Freistellen in der Weberei erkennen: Man stelle sich vor, man würde in den Kosmos des Bildes von der einen Seite aus eindringen, so würde man direkt an gleicher Stelle auf der anderen Seite wieder herausgeworfen werden. So gleicht der Bildteppich einem Hologramm oder einem planetarischen Nebel, der in seinem Inneren eine phantasmagorische Welt beherbergt.
Circa drei bis vier Monate benötigt Kata Unger für einen ihrer Bildteppiche, der auf dem Hochwebstuhl in ihrem Atelier in Berlin-Wedding entstehen. Die Farbflächen, gewebt aus selbsteingefärbten Garnen, imitieren das Changieren von Aquarellfarben. Die drei weiteren malerischen Arbeiten Ungers in dieser Ausstellung bezeugen dabei den Entwicklungsprozess, der diesem Kunstgriff voranging: Die Künstlerin begann Aquarellfarben als Sprühfarbe zu verwenden und mit dieser, unter Zuhilfenahme von Verpackungsmaterial als Schablonen, geometrische Gemälde anzufertigen. Das Blatt Prognostik (2015) bezeugt diesen spielerischen Ansatz. Von der technischen Erweiterung dessen berichtet das Werk Roadmap (2015), das die Wegführung einer Irrfahrt aus der Vogelperspektive, in gestalterischer Anlehnung an ein Graffiti zeigt.

Diese Entwicklung mündete in den Teppich Die Prognostiker, in dessen Mitte der betitelte Homunkulus (künstlich geschaffener Mensch/Menschlein) zu sehen ist. Aus dem ihn verhüllenden weißen Arbeitskittel strecken sich nur drei grüne Arme hervor, mit der er die von ihm bewohnte „Rechenwolke“ (Zitat Unger) bedient. Die Wände seines Laboratoriums sind mit mathematischen Formeln, Buchstaben und geometrischen Formen übersät, die wie Pixelfehler einer neongrell-formatierten Grafikplatte wirken. Trotz des futuristisch-technischen Motivs der Arbeit lässt das Werk auch aufgrund der biomorphen Form- und Farbgebung Assoziationen zu extraterrestrischen Naturen zu. Hier nun ist der Prophet im Begriff gottgleich das ‚große Ganze‘ der ihn umgebenden Welt zu entschlüsseln. Er errechnet eine allgemeingültige Wahrscheinlichkeitsformel zu Bestimmung des höchsten Ordnungssystems, das man Schicksal, Glück oder ‚göttliche Fügung‘ nennen könnte.
Die Suche danach entstammt der Spiele-Forschung, um genau berechnen zu können, wie häufig wie und wieso Würfel fallen. Dieser Prognostiker sagt aber keine Würfelspielergebnisse voraus, sondern bestimmt die zukünftige weltwirtschaftliche und damit menschliche Entwicklung. Rechts neben ihm ist der Name seines Auftraggebers zu lesen: „Credit Rating Agency“ – ein Unternehmen, das gewerbsmäßig die Kreditwürdigkeit von Staaten bewertet und somit entscheidet, welche Länder und damit Gebiete auf dieser Erde finanzielle Zuschüsse und Entwicklungshilfen erhalten.
Die Rechenkunst ist dabei der Weberei überraschend ähnlich: Beide Prozesse sind von einem dualen Prinzip geleitet, welches nicht umgangen und nicht überwunden werden kann. Die Mathematik hinter einem Computer schlüsselt alles in eine 0 oder eine 1 auf; ein Teppich definiert sich durch das Bespielen von einem Kett- und einem Schussfaden. So gleicht das Schreiben einer Matrix aus wechselnd 0 und 1 dem zeilenhaften Weben eines Teppichs aus zwei Fäden. Das Werk bezeugt das Aufeinandertreffen der altmenschheitlichen und der zukünftigen Technologie.

Zwar erstellt Kata Unger skizzenhafte Entwürfe ihrer Kunstwerke vorab, das eigentliche Motiv entwickelt sich jedoch erst im kreierenden Prozess. Dies resultiert auch aus dem abstrahierten technischen Prozess; so wird der Teppich in der Horizontalen gewebt (d.h. entsprechend der Hängung von nach links nach rechts). Im Prozess werden ungeplante Bilddetails hinzugefügt und andere verworfen. Vergleichen darf man diesen Prozess mit dem langsamen Laden von Bildern zur Zeit des frühen Internets, als die Abbildungen sich noch Zeile für Zeile aufbauten und man für sich mental einen Entwurf von Gesamtbild in der Wartezeit entwarf. Spezifisch für Ungers künstlerische Arbeit ist daher der bewusste Verzicht auf einen Karton (einen maßstabsgetreuen Vorentwurf) der für dieses Kunsthandwerk eigentlich etabliert ist. Dennoch stehen Ungers Werke aufgrund ihrer Farben- und Motivvielfalt und durch ihre hohe handwerkliche Qualität den Meisterwerken der Bildwirkerei (wie Raphaels Bildteppichen der Sixtinische Kapelle, 1515-1519) in nichts nach.

Als ich in Vorbereitung über die angesprochenen künstlerischen Arbeitsweisen, unter Rücksichtnahme des Ausstellungstitels „UNIVERSE“, nachdachte, fragte ich mich, was wohl passieren würde, wenn Dierschs und Ungers Bilder des Universums dasselbe Wachstumspotenzial wie der Kosmos selbst besitzen würden; der sich bekannterweise mit großer Schnelligkeit exponentiell ausbreitet. Dierschs weiterwandernde Linien würden immer deckendere Flächen erzeugen und irgendwann gar den Bildträger überschreiten. Auch Kata Ungers feine Aquarell-Sprühungen würden Schicht für Schicht immer opaker werden, bis jedes Motiv von einer monochromen Fläche verschlungen werden würde. Und auch Die Prognostiker könnten immer weiter rechnen und so würde sich das Bildmotiv mit dem Bildträger erweitern; der Teppich würde immer länger werden und wachsen, bis er selbst eine mikrokosmische Sphäre bilden würde.
Doch was steht am Ende dieser Entwicklung? Laut des Astronomen Edwin Hubble wird der „Big Crunch“ („Das große Zusammenkrachen“) des Universums kommen, wenn dieses in sich kollabiert. Kunst und Philosophie arbeiten sich schon lange an dieser Vision der Endzeit ab, in dessen Zuge sich das uns vertraute lineare Konzept von Zeit beginnen würde umzukehren und alles rückwärts erneut erlebbar werden würde. Dieses Gedankenspiel lässt sich spielerhaft auch für die Kunstwerke übertragen: Die Tinte löst sich vom Blatt und rennt zurück ins Schreibrohr. Das Blatt ist nicht mehr Bildträger, sondern wird wieder Möglichkeitsraum und der Teppich trennt sich Faden um Faden auf, um wieder im Wollknäuel zu enden, das erneut sein ursprüngliches Potenzial besitzen würde. Darin besteht eine organische Entwicklung in beide Richtungen, die auch in der Beständigkeit bzw. Vergänglichkeit der vorliegenden geschaffenen Objekte stets mitschwingt. So wie Diersch und Unger ein Universum, oder eine Antwort auf Dinge darin, erschaffen, so trägt dieser Bilderkosmos auch ein eigenes Potenzial in sich, das utopisch und dystopisch zugleich bleibt. Der Ausgang davon bleibt offen – was wir sehen und erleben ist das Jetzt – eben genau einen ‚Atemzug des Universums‘.

Programm 2022

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