Frank Siewert

„Nach dem Löschwasser“ – Papierwerk und Beigaben

kuratiert von Kerstin Seltmann und Torsten Bohm

8. Juli bis 30. Juli 2022

vorn „Im Arsenal dunkler Gedanken läßt es sich trefflich leiden“ 2023
hinten „ohne Titel“ 2023

Eröffnungsrede von Uwe Warnke, Kemlitz 08.07.2023

Frank Siewert, Nach dem Löschwasser

Warum nehmen Künstler immer wieder den Stift oder den Pinsel in die Hand, ziehen sich zurück und fangen an zu zeichnen, zu malen oder zu radieren? Warum? Was ist das? Warum immer wieder Gestalten-Wollen? Was geht da in ihnen vor? Was treibt sie an? Was suchen sie?

            Dabei meine ich nicht jene Künstler, die von vornherein auf die Verwertung schielen oder die den Stift gar erst in die Hand nehmen, wenn die Verwertung gesichert ist. Das gäbe es doch gar nicht, das habe ich mir doch ausgedacht? Nein, glauben sie mir, das gibt es und zwar genreübergreifend. Da erwidert ein Autor auf die Frage des Herausgebers, ob er mal wieder frische, neue Texte für eine literarische Zeitschrift einreichen werde, mit der Antwort, wenn das Geld besorgt werden würde, könne das durchaus geschehen, dann könne er sich hinsetzen und wieder schreiben – aber eben auch erst dann. Und dies gesagt, auf dem Heimweg von einer für ihn eingerichteten und bezahlten Lesung. So geht Marktgeschehen. Vielleicht noch dies: Eugen Blume, der ehemalige Direktor des Hamburger Bahnhofs war beruflich in Stuttgart. Er war zeitlich nicht ausgelastet und erfuhr vom Atelierrundgang in der Staatliche Akademie der Bildenden Künste. Dort ging er hin. Ein wenig inkognito und wohl nicht ganz zufrieden über das dort Gebotene fragte er die Künstlerinnen und Künstler immer wieder nach dem WARUM ihres Tuns. Welcher innere Antrieb steckt hinter dem Angebotenen. Er bekam nicht nur eine Antwort; seine Frage wurde zumeist gar nicht verstanden.

            Wie sind hier jenseits eines Marktes. Hier trifft privates Engagement auf Kunst und Kunstwollen. Hier gibt es innere Antriebe und kein äußeres Geschehen.

Natürlich hat der Künstler Frank Siewert auch Kontakte zu Herausgebern, Galeristen, Literaten, Freunden, Förderern, Sammlern. Und ebenso gibt es Einladungen an ihn, dieses oder jenes zu gestalten, zu bemalen, Keramiken zu vollenden usw.  Und ja, natürlich nimmt er an Gruppenausstellungen teil und sagt nicht NEIN zu Einzelausstellungen. Natürlich nicht. Dies alles geschieht aber in einer Form der Unabhängigkeit, einem Nicht-Befriedigen-müssen von Markterwartungen oder Konsumwünschen, über die wir alle, die wir seine Kunst sehr schätzen, froh sein können. Auch wenn ich weiß, dass dies gerade Beschriebene eine Kehrseite hat, ist diese Unabhängigkeit nicht hoch genug zu bewerten. Dass er sich diese Haltung erarbeitet und erhalten hat, spricht für ihn.

            Ich sehe Frank Siewert auf den Knien oder gebeugt den Pinsel führen, die zu bezeichnenden Blätter liegen vor ihm auf dem Boden, durch das Aufstehen entsteht schnell ein Abstand, eine Distanz ­–  ein Überblick. Das Überblicken ist kein Darüberstehen. Sie verstehen den Unterschied? Er liefert sich seinen Arm- und Handbewegungen aus, zeichnet, verwirft, überzeichnet, lässt stehen, wartet auf das Trocknen der Tinte, der Tusche, des Pigmentträgers. Da legt sich gelegentlich Schicht über Schicht, so dass manche Blätter eine eigenartige Materialität erhalten und an archaisch Überliefertes erinnern.

Auch wenn es nicht immer direkt ins Auge fällt: es geht ihm ums Lebendige. Zellen, Rhizome, Gnome, Menschliches – da ist Leben. Es ist immer Figur. Sie ist es ihm immer noch Wert. Es ist Weltgeschehen oder doch zumindest ein Blick auf dieses. Da kommen wir an bildgewordenen Verwerfungen und Skurrilitäten nicht vorbei. Distanz, Humor und Befremden sind Strategien des Umgangs. Dabei wird nichts im eigentlichen Sinn abgezeichnet oder abgebildet – es gibt für das was der Künstler zeichnet keine Vorlagen. In den Zeichnungen werden Verhältnisse hergestellt, Kontexte aufgemacht, Geschichten erzählt, Kunst reflektiert.

            Titel, die gern Kommentare sein können, werden Teil des Bildes sein oder bleiben stille Teilhaber. So oder so nehmen sie uns bei der Hand.

            Das ist die Welt des Künstlers. Das ist sein Realismus, der hier aufscheint.

Dabei sind die Mittel, wir bleiben bei der Zeichnung, durchaus unterschiedlich. Der Pinsel obsiegt hier. Manchmal sucht er die Herausforderung auf artfremdem, schon bedrucktem Papier zu arbeiten. Spontan darauf zu reagieren, das Vorhandene zu integrieren ist hier der Anreiz. Der Strich, die feine Linie findet sich eher bei der Radierung. Die Zeichnung, wenn deren Charakter reproduziert werden soll, passiert mit den Mitteln der Lithografie, darf hier über die Ufer fließen. Zeugt sie einerseits immer noch von der Konzentration, darf sie sich andererseits aber ausdehnen, sich zu weiteren Bedeutungen öffnen, auf Material reagieren, fließen. Farblich bleibt er dabei immer in gedeckten, tonigen, erdigen Tonmischungen. Farblagen, die kein Versprechen sind, aber doch offenlassen, wohin die Reise geht.

            Interessanterweise wird die Farbe, sobald Öl ins Feuer gegossen wird, prägendes Mittel auf der Leinwand. Da erscheint es fast so, als verschwinde die Form in der Farbe und das Material Ölfarbe wird selbst zur Form, zur Struktur.

            Frank Siewert ist ein Freund der Zeichnung. Sie interessiert ihn. Dieses Interesse geht weit über das eigene Kunstgeschehen hinaus. Er kann sich genauso für Gelungenes bei Freunden und eben wie bei Fremden oder ganz Unbekannten begeistern. Wenn es geht, nimmt er Kontakt auf und wenn möglich, erwirbt er auch gern ein Beispiel dieser Kunst. Diese wird gerahmt und aufgehängt. Ein Augenschmaus, ein Lebenselixier, eine Aufmunterung usw.  Zur Freude und sich Eins-wissend.

            Die Kunst Frank Siewerts hat, außer in ihm selbst, keinen äußeren Anlass. Sie ist zwecklos. Zwecklos ist hier ein positiver Begriff. Sie ist an kein äußeres Geschehen gebunden. Sie ist frei. Wir können sie nicht mit einem Anlass, einem Plan verbrauchen und morgen entsorgen, weil sie nicht mehr aktuell sei. Sie verweist auf größere Zusammenhänge. Damit tut sich aber ein ganz anderes Problem auf. Phantasie ist grenzenlos. Wie damit umgehen? Wie sich beschränken? Welchen Regeln sich fügen und welche brechen? Welchem Weg folgen, welchen verlassen? Und immer wieder einen Anfang suchen. Dabei der Wiederholung ausweichen. Und das alles immer wieder von neuem.

Und der Künstler nimmt den Stift, den Pinsel, die Radiernadel in die Hand …

im Turm
der vordere Raum rechts
„Unterwegs mit dem Filius“ 2023 / „ohne Titel“ 2023 / „Gutachter“ 2023 / „ohne Titel“ 2023
oben „Mütterliche Ansprache an die Jugend“ 2020 / „zwei Macher machen was“ 2020 / „ohne Titel“ 2020
Mitte „Aktivist mit Büste im Nacken“ 2020 / „in der Systemzeit“ 2018 / Debile Bonitäten“ 2009 / „ohne Titel“ 2009
unten „ohne Titel“ 2021 / „Zeichnung mit Trostbarten“ 2007 / „Der Meister“ 2020
aus „zwei Macher machen was“ 2020
rechte Ecke
„ohne Titel“ 2020 / „ohne Titel“ 2020 / „Praktikanten“ 2020
linke Ecke „Orbitaler Denker“ 2015 / „ohne Titel“ 2002 / „ein und ausblasen, denken“ 2023 / „ohne Titel“ 2019 / „Kopfstudie“ 2019
aus „Tageblätter“ 27 Zeichnungen 2015-2020
aus „Tageblätter“
aus „Tageblätter“ 2015-2020
aus „Tageblätter“
„ohne Titel“ 2006 / aus „Tageblätter“
Kopfstudie (Öl auf Leinwand) 2019

Frank Siewert
1963 in Berlin geboren
1984–1989 Studium der Werkstoffwissenschaften an der Bergakademie Freiberg/Sa.
1987–1990 Künstlergruppe „ECHO“
Seit 1988 Beteiligung an verschiedenen Künstlerzeitschriften und Büchern, u.a. Herzattacke, Entwerter/Oder, Keil, Inventory, Miniature Obscure, Quartett, Savod Progress, Edition Rothahndruck
Lebt als Künstler und Wissenschaftler in Berlin

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